Interview mit Dr. med. vet. Isabel Imboden Teil 2/3

Im Kurs steht (Kapitel «Social Licence to Operate», Seite 3), dass die Pferdebranche in der Öffentlichkeit zunehmend an Akzeptanz verliert. Dies ist zu einem grossen Teil den sich in den letzten Jahren häufenden negativen Schlagzeilen verschuldet, wo Pferde misshandelt oder ausgenutzt wurden. Sie schreiben, es ist wichtig, dass man sich daraufhin immer wieder selbst reflektieren soll, auch wenn diese Medienberichte oft aus dem Kontext gerissen wurden und oft nicht die wahren Geschehnisse wiedergeben. Wieso ist diese Selbstreflektion wichtig?

Während diese Bilder in der breiten Öffentlichkeit oft als Beweis der Misshandlung gesehen werden (und klar auch von den Medien als solchen dargestellt wird – sonst wäre sie ja keine Schlagzeile wert), neigte die Pferdewelt lange dazu sich schnell defensiv zu verhalten und nach Ausreden zu greifen – z.B. «das sei ein Einzelfall», oder «das sei gar nicht so schlimm – die Öffentlichkeit würde nur nichts von der Sache verstehen», usw. Das ist aus zwei Gründen problematisch: erstens, weil sich hinter jedem Bild oft tatsächliche ein Problem verbirgt, welches eine kritische Hinterfragung durchaus verdient (aktuelle Beispiele hierfür – das sichtlich überforderte Pferd am Olympischen Fünfkampf in Tokyo, oder die Tatsache, dass ein aus der Nase blutendes Springpferd an demselben Wettkampf nicht umgehend angehalten wurde). Zweitens ist die Einstellung «die verstehen nichts davon und sollten daher nicht urteilen» sehr abschätzend – jeder/jede urteilt über Sachen die er/sie nicht oder nur oberflächlich versteht mit seinem/ihrem Bauchgefühl respektive hat eine persönliche Wahrnehmung. Die betroffenen Akteure haben deshalb die Aufgabe, die Öffentlichkeit aufzuklären, bzw. auf glaubwürdige Art und Weise darzustellen, was unternommen wird, damit das nicht mehr geschieht – etwas, was übrigens in beiden genannten Beispielen geschehen ist.

 

Im Dokument der COFICHEV steht ausserdem, dass vor allem im Spitzensport trotz bereits erfolgter Sensibilisierung die negativen Vorkommnisse in den vergangenen Jahren nicht zurück gegangen sind. Denken Sie die Reiterinnen und Reiter nehmen das Thema zu wenig ernst, oder woran liegt das?

Ehrlich gesagt ja – ich denke vor allem im Spitzensport befinden sich viele Reiter (und ihr unmittelbares Umfeld) in einer Art «Bubble». Es fällt ihnen manchmal schwer die Sachen aus einer nötigen Distanz zu betrachten. Irgendwo hat nämlich auch die Aufklärung der Öffentlichkeit seine Grenzen, und es wird nötig das Verhalten im Sinne des Tieres und der öffentlichen Meinung zu ändern. Nehmen wir zum Beispiel die Debatte über die Nutzung der Peitsche im Rennsport. Von den Aktiven im Sport wird nachvollziehbarerweise argumentiert, dass moderne Peitschen dem Pferd keine unnötigen Schmerzen zufügen, und dass Peitschen eine reglementarisch gut regulierte Notwendigkeit seien, um ein Pferd sicher ins Ziel zu bringen. Aber… Tatsache ist, von aussen betrachtet sieht es nun mal so aus, als ob ein Mensch auf einem Pferd sitzt, und das Pferd schlägt, damit es schneller läuft; und das wirkt auf viele Menschen trotz allen Erklärungsversuchen verstörend! Da fragt man sich, ob sich die Pferdewelt nicht eher ernsthafte Gedanken darüber machen sollte, ob der Sport diese Peitschen wirklich braucht, anstatt den Gebrauch krampfhaft zu verteidigen. Im Springsport gibt es ähnliche Baustellen, die durchaus von einer distanzierten Betrachtung profitieren könnten.

 

Auf der nächsten Seite im Kurs schreiben Sie (Kapitel «Social Licence to Operate», Seite 4), ein weiterer Grund für die abnehmende Akzeptanz in der Öffentlichkeit ist auch der negative Einfluss der Pferdebranche auf die Umwelt. Ein Beispiel, dass Sie nennen, ist der CO2-Ausstoss, welcher durch den Transport der Pferde an internationale Veranstaltungen, aber auch durch deren Aufbau der Infrastruktur anfällt. Sehen Sie hier Handlungsbedarf?     

Das ist ein schwieriges Thema. Es ist nicht schönzureden, dass der Aufbau von grossen, temporären Infrastrukturen wie Sportstadien, Stallungen und die dazugehörenden Bewirtungsgebäude nicht besonders umweltschonend ist. Das ist bei der wiederholten Nutzung von bestehender Infrastruktur wie in Dielsdorf schon etwas anders. Die Tatsache, dass die vielen internationalen Turniere die vierbeinigen Sportler und ihre Reiter zu waschechten «Frequent Flyers» machen, wurde kürzlich in bedeutenden Pferdezeitschriften gut kommentiert. Waren es früher nur die grossen Championate wie Olympiaden oder Weltreiterspiele, welche eine lange Reise notwendig machten, sind heutzutage im Spitzensport die Pferde beinahe jedes Wochenende auf langen Reisen in Flugzeug oder Lastwagen unterwegs. Bei der derzeitigen Entwicklung des Sportes ist das auch schwer zu verhindern. Es bestehen diesbezüglich viele Bemühung seitens der FEI und der Veranstalter diesen CO2 Abdruck etwas zu verringern, doch ist es auch hier wichtig, dass das gut und glaubwürdig gemacht wird, damit es nicht nur «Greenwashing» darstellt. Im näheren Umfeld gibt es durchaus Handlungsspielraum: Zum Beispiel kann sich jeder Reiter fragen, ob es wirklich nötig ist, mit dem grossen LKW ein oder zwei Pferde an das Turnier in den Nachbarkanton zu transportieren, oder ob nicht etwa der Anhänger am PW reichen würde.

 

Im Kurs steht (Kapitel «Overriding interests and appropriate use of a horse», Seite 1), um sicherzustellen, dass die Interessen vom Pferd aufrechterhalten wird, ist es notwendig die ethischen Prinzipien ernst zu nehmen. Ausserdem sollte der Umgang mit Equiden auf Respekt, Ehrlichkeit und moralischer Standhaftigkeit basieren. Denken Sie, die Pferdebranche als gesamtes ist auf einem guten Weg, dies umzusetzen?

Es ist sehr erfreulich, dass das Thema von vielen Individuen wie auch Organisationen mittlerweile sehr ernst genommen wird – dieser Blogbeitrag ist dafür ein gutes Beispiel. Ebenfalls eine positive Entwicklung, ist dass die Diskussionen über Pferdewohl sich nicht nur auf Haltungsformen beschränken, sondern auch Fragen zu Management und Nutzung aufnehmen. Es entstehen von vielen Seiten glaubhafte Bestrebungen das Pferd und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt zu stellen, und auch schwierige Themen – dazu gehört die Verwendung des Pferdes im Spitzensport – anzusprechen. 
Aus meiner Sicht dürften diese Bestrebungen noch etwas mutiger sein. Ich würde es sehr begrüssen, wenn am Status Quo etwas mehr gerüttelt würde – auch wenn die konservativen Kreise im Pferdesport alte Traditionen schwer loslassen können (als aktuelles Beispiel ist hier die Debatte zur Kandarenpflicht im Dressursport zu nennen)! Ganz im Sinn von proaktiv «Agieren» nicht erst auf Druck der Öffentlichkeit «Reagieren».

 

Im Dokument der COFICHEV steht ausserdem, dass vor allem im Spitzensport den Pferden sehr viel abverlangt wird – nicht nur eine intensivere athletische Leistung wird verlangt, sondern auch eine Anpassung an verschiedene Bedingungen der Haltung und des Umgangs mit ihnen. Bedeutet dies, dass Spitzensportbranche nochmals mehr unter Druck steht, dem Pferd gerecht zu werden?

Klar! Keine anderen Pferde werden körperlich und mental so vielen Strapazen ausgesetzt wie die Pferde im Spitzensport. Das wird oft gerechtfertigt mit einer hohen Qualität von Fürsorge (das beste Futter, die beste Gesundheitsvorsorge, die schönsten Stallungen und ein persönlicher Pfleger, usw.). Doch um ehrlich zu sein, wäre es wohl doch den meisten Pferden lieber, sie wären nicht in einem goldigen Käfig, sondern hätten täglich ein paar Stunden Freiheit und könnten bei Wind und Wetter draussen sein zusammen mit ein paar vierbeinigen Kumpanen. Eben hier gilt es eine Interessensabwägung zu machen – ohne Pferd, kein Pferdesport, deshalb ist es hier besonders wichtig, dass diese Pferde so gehalten und gemanagt werden, wie es ihren individuellen Bedürfnissen entspricht. Ein zufriedenes, ausgeglichenes Pferd verträgt oft die Strapazen des Sportes (und assoziierten Aktivitäten) besser als eines, welches von Haus aus schon gestresst ist. Es gibt hier bereits einige Beispiele von vierbeinigen Spitzensportlern, welche (zuhause) in sehr pferdefreundlichen Haltungsformen gehalten werden, und andere die zumindest eine regelmässige «Auszeit» auf der Weide geniessen dürfen.