Interview mit Dr. med. vet. Isabel Imboden Teil 1/3

Dr. Isabel Imboden ist seit Ihren Studiumsabschluss 2001 an der Universität Bern Tierärztin sowohl in der Praxis also auch in der Forschung von Equiden tätig. Sie bereichert das Team der Abteilung Sportmedizin Pferd der Vetsuisse-Fakultät Universität Zürich und gibt ihr angereichertes Fachwissen über Equiden bei Vorlesungen an Hochschulen und Universitäten weiter. Darüber hinaus gestaltet sie für den FEI Campus online Kurse, mit denen sich Interessierte im Selbststudium zu verschiedensten Themenfeldern in Zusammenhang mit dem Pferd weiterbilden können.

Der Verein COFICHEV (Ein Gremium von Experten aus verschiedensten Bereichen der Schweizer Pferdebranche) erkannte, dass das Thema Ethik in Bezug auf die Pferdebranche in den letzten Jahren immer kontroverser diskutiert wird. In der Folge verfasste der Verein einen über 300 seitiges, wissenschaftlich fundiertes Dokument mit dem Titel «Ethische Überlegungen zur Würde und zum Wohlergehen von Pferden und anderen Equiden», welches im Juni 2022 veröffentlicht wurde. Dieses Werk fand in der Schweizer und internationalen Pferdebranche grossen Anklang, sodass auch die FEI darauf aufmerksam wurde. So kam es zur Zusammenarbeit zwischen dem COFICHEV und der FEI mit dem Ziel, die Sensibilisierung aller Interessengruppen in der Branche für die Bedeutung von Ethik und Wohlergehen der Pferde bei all ihren Aktivitäten zu fördern. Ein Resultat dieser Zusammenarbeit ist ein von Dr. Isabel Imboden verfasster Kurs auf der FEI Campus Seite, der auf die zentralen Punkte des Dokumentes des COFICHEV eingeht.

Die Sensibilisierung von Ethik und vom Wohlergehen der Pferde liegt auch den Verantwortlichen des Zürich Youth Masters am Herzen. Wir glauben, dass dies der einzige Weg ist, mit dem der Pferdesport langfristig und nachhaltig betrieben werden kann. Mit unserer Veranstaltung haben wir die Möglichkeit die Sensibilisierung bei den Stars von Morgen voranzutreiben und sehen uns verpflichtet dies zu tun. Mit einem Interview mit Dr. Isabel Imboden wollen wir nun zur Selbstreflexion und Diskussion anregen.

Frau Dr. Isabel Imboden, besten Dank, dass Sie bereit sind, uns einige Fragen zum von Ihnen verfassten Kurs «Ethics & Welfare – an Introduction» zu beantworten.

Wieso ist es wichtig, die Pferdebranche im Thema Ethik und Wohlergehen der Pferde zu sensibilisieren?

Der allerwichtigste Grund hierfür ist, dass es mittlerweile jedem in der Pferdebranche bewusst ist, dass das Wohlergehen der Pferde – auf dessen «Rücken» ja die ganze Branche aufgebaut ist – von höchster Priorität sein muss. Was dieses «Wohlergehen» genau bedeutet, ist mit einem grossen Interpretationsspielraum behaftet.

Die wichtigste Entwicklung der letzten Jahrzehnte in diesem Zusammenhang, ist die dringende Notwendigkeit in Sachen Wohlergehen die Interessen und die Bedürfnisse des Pferdes ins Zentrum zu stellen. Hier ist auch die Ethikfrage angesiedelt. Um pferdegerecht handeln zu können, müssen wir uns auch die Konsequenzen unseres Handelns aus Sicht des Pferdes betrachten, nicht nur aus der des Menschen. Es gibt zwar eine Breite (und immer breiter werdende) Gesetzgebung rund um Haltung und Nutzung des Pferdes, doch auch hier muss ein jeder sich die Frage stellen, ob alles was nicht verboten, automatisch gut und pferdegerecht ist!

Sie schreiben im Kurs (Kapitel «The horse in society», Seite 4), dass die langfristige Entwicklung der Pferdebranche in der Vergangenheit stark auf die ökonomischen Ziele der involvierten Akteure basierte, während das Tierwohl eher aussenvor gelassen wurde. Was bedeutet dies konkret?

Die Nutzung von Pferden und anderer Equiden war über viele Jahrhunderte eine Notwendigkeit, auf die der Mensch bis ins Zeitalter der Mechanisierung nicht hätte verzichten können – da machte niemand sich Gedanken über die ethischen Aspekte der Pferdehaltung und Nutzung – es ging schliesslich um das eigene Überleben. Das Pferd war entsprechend ein kostbares Gut, dem man nach bestem Wissen und Gewissen Sorge getragen hat. Aber wie bei jedem Nutztier wurden Kosten und Nutzen sorgfältig abgewogen.

Die Umsiedlung des Pferdes in den Freizeit- und Sportbereich geschah zeitgleich mit der Urbanisierung der Gesellschaft. Viele Leute, die ein Pferd zu Sport- oder Freizeitzwecken halten wollten, konnten dies nicht mehr zuhause tun. Das Geschäft mit der ausgelagerten Pferdehaltung wuchs. Hier ging es aber oft in erster Linie darum die ökonomischen Faktoren (Arbeitskräfte, Platzbedarf pro Pferd, etc.)  möglichst zu beachten, damit das Geschäft auch lohnend war. Pferde wurden so gehalten, dass es für den Menschen möglichst wenig Aufwand gab (z.B. Standhaltung oder Boxen mit Tiefstreu), und sich die Pferde nicht durch soziale Rangeleien oder unkontrollierter Bewegung verletzten. Der Zusammenhang zwischen Krankheiten (z.B. des Verdauungs- und Atemapparates) und Haltungsformen war auch noch nicht so im Bewusstsein der Pferdehalter angekommen. Früher wurden die Bedürfnisse des Pferdes oft mit denen des Menschen gleichgestellt – eine warme «Stube», genug zu essen, ein gepflegtes Äusseres, ein Mass an Sozialkontakt und eine gute Gesundheitsvorsorge waren doch für jeden Menschen erstrebenswert, wieso also nicht auch für das Pferd? In der Schweiz kam (und kommt) noch ein zusätzliches Problem dazu – das des limitierten Platzes. In vielen Länder ist die günstigste und einfachste Form der Pferdehaltung die Dauerweidehaltung – eine natürliche und pferdefreundliche Haltungsform, welche hier in der Schweiz aufgrund des geringen Platzangebotes für viele Pferdehaltungen keine Option ist.

Man darf also nicht pauschal sagen, das Tierwohl wurde nicht beachtet – es wurde einfach aus einem anderen Blickwinkel – einem sehr Mensch-zentrierten – beurteilt.

Wie hätte sich die Pferdebranche entwickeln sollen, um dem Tierwohl gerechter zu werden?

Man hätte Pferdehaltung, -management und -umgang viel früher aus dem Blickwinkel des Pferdes betrachten sollen. Die natürliche Lebensweise des Pferdes (bzw. derer wilden Vorfahren) ist ja schon lange bekannt, und dementsprechend auch die natürlichen Bedürfnisse des Pferdes. Zu lange hat man sich darauf verlassen, dass durch die Domestikation, sich die Bedürfnisse des Pferdes denen der Menschen angepasst haben. Dieser Irrglaube, konnte erst durch verschiedene Studien widerlegt werden, die den Zusammenhang zwischen Erkrankungen (z.B. Magengeschwüre oder Equines Asthma) oder Verhaltensauffälligkeiten (Stereotypien) und bestimmten Haltungsformen bewiesen haben. Besonders wichtig wäre dieser Wandel zum Zeitpunkt gewesen, als Pferde keine «reinen Nutztiere» mehr waren, sondern eher als Sport- oder Freizeitpartner gehalten wurden. Da die Haltung von Pferden in dem Fall keine wirtschaftliche Notwendigkeit mehr war, wäre es durchaus angebracht gewesen, die natürlichen Bedürfnisse des Pferdes (z.B. im Bezug auf Bewegung, Fütterung und sozialer Interaktion) im Verhältnis zur Wirtschaftlichkeit etwas höher zu gewichten.